Während das Trio Klette, Staub und Garweg für Jahrzehnte abgetaucht ist, haben andere RAF-Terroristen ihre Strafen abgesessen. Die Lebenswege nach der Haft sind höchst unterschiedlich: Die Spanne reicht von einem Haus am Lago Maggiore über einen Bundestagsjob bis zu Hartz-IV.
Es hat etwas von längst vergangenen Zeiten: Die deutschen Behörden sind wieder Terroristen der Roten Armee Fraktion (RAF) auf den Fersen. Nach der Festnahme des früheren Mitglieds Daniela Klette vergangene Woche fahnden die Ermittler nun intensiv nach ihren beiden Komplizen Ernst-Volker Staub und Burkhard Garweg. Das Trio war vor über 30 Jahren in den Untergrund gegangen.
Hervorgegangen aus der 68er-Bewegung, überzog die linksextreme Terrorgruppe die Bundesrepublik über Jahrzehnte mit Gewalt. Für insgesamt 33 Morde soll die RAF verantwortlich sein, bis sie sich 1998 nach eigenen Angaben auflöste. Viele Anhänger von damals wurden gefasst und landeten im Gefängnis. Einigen gelang danach eine Rückkehr in die Bürgerlichkeit, andere konnten nach dem Absitzen ihrer Haftstrafe nicht mehr gesellschaftlich Fuß fassen.
Horst Mahler: Vom RAF-Anwalt zum Neonazi
Von den Gründungsmitgliedern der RAF, der sogenannten ersten Generation, sind die meisten inzwischen tot. Die Gruppe um Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe formierte sich 1970, nachdem sie in den Jahren davor bereits Brandanschläge verübt hatte. Von Anfang an mit dabei war der Anwalt Horst Mahler. Der heute 88-Jährige hat inzwischen eine ideologische Kehrtwende vollzogen: von extrem links zu extrem rechts.
Mahler wurde bereits im Gründungsjahr der RAF verhaftet und saß bis 1980 im Gefängnis. Seit den 1990er-Jahren macht Mahler als Rechtsextremist und glühender Antisemit von sich reden. Entsprechend liest sich seine Vita: Holocaustleugnung, zwischenzeitliche NPD-Mitgliedschaft, immer wieder Prozesse und Knastaufenthalte. Zuletzt sollte Mahler 2023 vor dem Landgericht Potsdam der Prozess gemacht werden, weil er in online verbreiteten Schriften einen Kampf des "deutschen Volksgeistes" gegen das Judentum heraufbeschworen haben soll. Das Gericht hat das Verfahren jedoch vorläufig eingestellt - Mahlers Gesundheitszustand sei zu schlecht.
Möller überlebte Stammheimer "Todesnacht"
Die ideologische Triebkraft der ersten RAF-Generation, Ulrike Meinhof, nahm sich 1976 in der JVA Stuttgart das Leben, am 18. Oktober 1977 später taten es ihr Baader, Ensslin und Raspe ebendort gleich. Schwer verletzt überlebte als einzige Irmgard Möller die sogenannte "Todesnacht von Stammheim". Weil sie RAF-Aktionen koordiniert haben soll, saß sie 23 Jahre lang im Gefängnis und war zwischenzeitlich die am längsten inhaftierte Frau Deutschlands.
Von ihrer Vergangenheit losgesagt hat sich Möller auch nach ihrer Entlassung 1994 nicht. Den kollektiven Suizid von Stammheim streitet sie ab, spricht stattdessen von staatlich instruierten Morden. Drei Jahre nach ihrer Freilassung gab sie dem "Spiegel" ein Interview. "Ich war immer davon überzeugt, dass ich für eine gerechte Sache kämpfe und letztlich deshalb eingesperrt worden bin. Daran hat sich bis heute nichts geändert", sagte sie darin und gab an, von Sozialhilfe und in verschiedenen Wohngemeinschaften zu leben. Ihr heutiger Aufenthaltsort ist unbekannt.
Die zweite Generation
Während Schlüsselfiguren der ersten RAF-Generation in der JVA einsaßen, wuchs eine zweite Generation heran, die ihren Höhepunkt im "Deutschen Herbst" von 1977 erreichte. In diese Zeit fielen etwa die Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer oder die Entführung der Lufthansa-Maschine "Landshut". Als Köpfe hinter der Anschlagsserie gelten Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar. Mohnhaupt, der ein martialischer Führungsstil nachgesagt wurde, saß unter anderem wegen der Beteiligung an neun Morden für 24 Jahre im Gefängnis, 2007 wurde sie auf Bewährung entlassen.
Die heute 74-Jährige lebt seither unter falschem Namen an einem unbekannten Ort in Deutschland. Von der "Bild"-Zeitung 2016 ausfindig gemacht, sagte sie dem Blatt: "Wie Sie wissen, lebe ich von Hartz IV, weitere Einkünfte habe ich nicht." Sie sei dem deutschen Staat dankbar für die Möglichkeit, sich ein neues Leben aufbauen zu können.
Christian Klar behielt nach seiner Freilassung 2008 nicht nur seinen Namen, er ging auch einer Arbeit nach. Damit sorgte er für politischen Wirbel: 2016 wurde bekannt, dass der damalige Linke-Abgeordnete Diether Dehm ihn als freien Mitarbeiter zur Betreuung seiner Website beschäftigte. Insbesondere die Union ging auf die Barrikaden, Dehm dagegen bezeichnete Klar als einen "hervorragenden Techniker, den ich nur empfehlen kann".
Ex-Terrorist wohnt am Lago Maggiore
Peter Jürgen Boock, ein weiterer Ex-Terrorist der zweiten Generation, verbrachte etwa wegen Beteiligung an der Schleyer-Entführung und der Ermordung des Bankmanagers Jürgen Ponto 17 Jahre hinter Gittern. Heute lebt Boock mit seiner Frau am Lago Maggiore in Italien, schreibt Gedichte und Bücher mit RAF-Bezug. Der "Zeit" sagte er 2020, dass er an Leukämie erkrankt sei.
Ebenfalls einen künstlerischen Lebensweg eingeschlagen hat Karl-Heinz Dellwo. Als Terrorist stürmte er die deutsche Botschaft in Stockholm, im Gefängnis begann er zu schreiben. In seinem Text "Mitten im Nebel" gibt er Einblick in den inneren Zirkel der RAF. Ferner arbeitet Dellwo als Regisseur und Dokumentarfilmer, leitet einen Verlag und hat eine Galerie eröffnet. Zwischenzeitlich betrieb er gemeinsam mit dem Schriftsteller Heinz Strunk ein Restaurant im Hamburger Schanzenviertel. Dort lebt er heute mit seiner Lebensgefährtin Gabriele Rollnik - auch sie eine ehemalige Linksterroristin.
Über andere, noch lebende RAF-Mitglieder der zweiten Generation ist weniger bekannt. Susanne Albrecht, die den ermordeten Bankdirektor Ponto in eine Falle gelockt und sich vorübergehend in die DDR abgesetzt hatte, arbeitete jahrelang an einer Bremer Grundschule. Dort unterrichtete sie Deutsch für migrantische Kinder. Das machte die CDU in ihrem Wahlkampf zur Bremer Bürgerschaft 2007 öffentlich. Der Forderung, Albrecht zu entlassen, widersprach der Elternbeirat der Schule allerdings einstimmig.
Hogefeld studierte in Haft
Die Führungsfigur der letzten und dritten RAF-Generation war Birgit Hogefeld. 1985 verübte sie einen Sprengstoffanschlag auf eine US-Air-Base in Frankfurt am Main. 1993 nahm die GSG9 sie fest. Ihr Lebensgefährte Wolfgang Grams starb bei dem Einsatz im mecklenburgischen Bad Kleinen. Laut Staatsanwaltschaft verübte er Suizid, Hogefeld spricht von einer Hinrichtung durch die Einsatzkräfte. Im Prozess distanzierte sie sich jedoch von der RAF, sprach von einem "Irrweg" und forderte die übrigen Mitglieder auf, sich aufzulösen.
Während ihrer Haftzeit schloss Hogefeld ein Studium der Literaturwissenschaft und der Sozialpsychologie ab. Zudem nahm sie ein Volontariat beim Gießener Psychosozial-Verlag auf. "Ich glaube, dass das ein guter Beitrag zu ihrer Resozialisierung wäre", sagte damals Verlagsleiter Hans-Jürgen Wirth, der ihr die Stelle angeboten hatte. Im Juni 2011 wurde sie als zum damaligen Zeitpunkt letztes inhaftiertes RAF-Mitglied entlassen. Mit der Verhaftung ihrer früheren Mitstreiterin Daniela Klette hat sich das nun geändert.