Plötzliche Einigung: Startchancen-Programm für Brennpunktschulen kommt

Die deutschen Bildungsminister haben sich in drei strittigen Bereichen auf einen Konsens geeinigt. Die am Freitag bekannt gegebene Übereinkunft betrifft die Verteilung der lang diskutierten „Bildungsmilliarde“ für 4000 Schulen in sozial benachteiligter Lage, die Eckdaten für die Vereinheitlichung der Abiturvorgaben sowie die Bekämpfung des Lehrkräftemangels.

Strittig war bisher, ob alle Bundesländer gleichermaßen, also ohne Rücksicht auf ihre Armutsquoten, von der „Bildungsmilliarde“ des Bundes profitieren sollten. Darüber wurde zwischen den Bundesländern gerungen. Nun lautet der Kompromiss, dass 950 Millionen Euro des sogenannten Startchancenprogramms den 16 Ländern entsprechend ihrer Schülerzahl zufließen.

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Nur die restlichen 50 Millionen Euro werden gezielt an die Länder gehen, die überproportional viele Schüler in prekären sozialen Lagen haben. Dazu zählen vor allem Berlin, Bremen und Nordrhein-Westfalen. Die Milliarde soll voraussichtlich von 2024 bis 2034 fließen.

Noch nicht sagen konnten die Bildungsminister, wie viele Millionen Euro in jedem einzelnen der 16 Bundesländer ankommen. Beispielhaft wurde aber angegeben, dass Länder wie Bremen mit besonders vielen Schülern in benachteiligten Lagen bis zu 25 Prozent mehr Geld aus dem 50-Millionen-„Solidaritätsfonds“ bekommen sollen. Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe (SPD) ergänzte, dass Bremen fünfmal mehr Schülerinnen und Schüler in prekären Lagen habe als die bessergestellten Länder.

50

Millionen Euro sollen analog zur Sozialstruktur der Länder verteilt werden.

Hamburg legte bereits mit einer Modellrechnung in eigener Sache vor: Ties Rabe geht davon aus, dass sein Land in den kommenden zehn Jahren insgesamt mindestens 26 Millionen Euro bekommen wird. Nach einem Verhandlungsmarathon über die ganze Woche „inklusive Bildungsgipfel, Anruf vom Kanzler, allein 17 offiziellen Terminen und einer Nacht mit Excel-Tabellen“ habe Rabe den Durchbruch geschafft „und alle 16 Bundesländer hinter sich gebracht“, so die Darstellung seines Sprechers.

Berlin kann mit rund 60 Millionen Euro rechnen

Rein rechnerisch könnte Berlin mit – grob geschätzt – rund 60 Millonen Euro pro Jahr* rechnen. Jetzt müsse der Bund für die Umsetzung sorgen, forderte die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), Berlins Senatorin für Bildung, Astrid-Sabine Busse (SPD).

Nun ist es am Bund, sich dazu zu verhalten und vor allem mitzuteilen, wie viel Geld und zu welchem Zeitpunkt er zur Verfügung stellt.  

Alexander Lorz (CDU), Bildungsminister von Hessen

Für die CDU-Länder lobte der hessische Kultusminister Alexander Lorz, seitens der Länder lägen nun „Eckpunkte“ zur Umsetzung des Startchancenprogramms vor – sowohl inhaltlich als auch mit Blick auf die Verteilung der Finanzmittel. Nun sei es am Bund, „sich dazu zu verhalten und vor allem mitzuteilen, wie viel Geld und zu welchem Zeitpunkt er zur Verfügung stellt.“

Es ist ein gutes Signal, dass die Länder zu einem veränderten Schlüssel bei der Verteilung der Gelder bereit sind.

Bettina Stark-Watzinger (FDP), Bundesbildungsministerin

Es sei „ein gutes Signal, dass die Länder zu einem veränderten Schlüssel bei der Verteilung der Gelder bereit sind“, sagte am Freitag ein Sprecher von Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP). Die Ministerin habe bereits mehrfach betont, dass das „Prinzip Gießkanne der Vergangenheit angehören muss“.

Das Geld soll ab 2024 fließen

Das Startchancenprogramm hatte die Ampel bereits im Koalitionsvertrag angekündigt. In den Koalitionsverhandlungen waren dafür intern gut zwei Milliarden Euro veranschlagt worden. Letzter Stand war, dass der Bund allerdings nur eine Milliarde davon finanzieren will – dabei handelt es sich um die von Finanzminister Christian Lindner (FDP) angekündigte „Bildungsmilliarde“.

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Diese solle komplett für das Startchancen-Programm verwendet werden, hatte Bildungsministerin Stark-Watzinger später angekündigt. Die andere Milliarde sollten nach ihren Vorstellungen die Länder aufbringen, was bei diesen zu Unmut geführt hatte.

Um das Gesamtpaket und insbesondere den Verteilungsschlüssel war bis zuletzt gerungen worden. Noch vor Kurzem sah es so aus, als ob eine Einigung noch Monate dauern könnte, zumal die Stimmung nach dem missglückten „Bildungsgipfel“ auf dem Nullpunkt war.

Mehr Einheitlichkeit beim Abitur

Einigkeit mussten die Länder auch bei den Vorgaben für das Abitur erzielen. Darauf drängte bereits 2017 das Bundesverfassungsgericht, um den bundesweiten Wettbewerb um die Studienplätze gerechter zu gestalten. Zu den neuen Eckdaten gehört, dass in der gymnasialen Oberstufe nur noch zwei oder drei Leistungskurse gewählt werden können statt bisher bis zu vier. Erhöht wird, wie schon berichtet, die Zahl der Pflichtkurse, die die Abiturienten während der beiden letzten Schuljahre belegen müssen. So sind künftig 40 Kurse vorzuweisen, von denen 36 in die Gesamtqualifikation einfließen müssen. Bisher lag die Zahl der Pflichtkurse zwischen 32 und 40.

Die gesellschaftswissenschaftlichen Fächer sollen künftig in allen sechs statt nur in vier Semestern der Oberstufe belegt werden. Naturwissenschaften werden künftig drei- statt zweistündig unterrichtet. Zusätzlich sollen Kompetenzen im Bereich der Digitalisierung vermittelt werden. Die Änderungen werden spätestens 2027 für die Schülerinnen und Schüler verpflichtend, die dann in die Qualifizierungsphase eintreten und 2030 ihr Abitur ablegen, hieß es.

Gemeinsam gegen den Lehrkräftemangel

Bei der Bekämpfung des Lehrkräftemangels bekannten sich die Länder zu mehr gemeinsamen Anstrengungen. Zu ihrem neuen Zwölf-Punkte-Programm gehört, dass sie mit den Hochschulen „bedarfsbezogen Lehrgangsstudiengänge weiterentwickeln“. Sie erwägen, Lehrkräfte mit nur einem Unterrichtsfach zu beschäftigen, wie „in anderen Staaten bereits üblich“.

Die Landesminister wollen die Empfehlung ihrer Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) „prüfen“, insbesondere das Potenzial qualifizierter Lehrkräfte auszuschöpfen. Das bedeutet, dass sie nicht mehr so frei wie bisher wären, ihre Unterrichtsverpflichtung beliebig zu mindern: Etwa 40 Prozent der Lehrkräfte arbeiten auf Teilzeit.

* In einer früheren Ausgabe stand fälschlich, dass die Gelder auf zehn Jahre verteilt werden. Wir bitten, diesen Fehler zu entschuldigen.

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