Die Presei für Energie explodieren europaweit geradezu. Die Einkaufspreise für Strom und Gas sind auf Rekordhoch. Droht Deutschland ein sehr teurer Winter? Experten sehen russische Erpressungsversuche dahinter. Lässt Putin lässt die Energiepreis explodieren?
Die deutschen Hersteller haben ihre Preise im August so stark angehoben wie seit annähernd 47 Jahren nicht mehr. Die Erzeugerpreise gewerblicher Produkte stiegen um 12,0 Prozent zum Vorjahresmonat, wie das Statistische Bundesamt am Montag mitteilte. Ein größeres Plus gab es zuletzt im Dezember 1974, als die Preise wegen der ersten Ölkrise sogar um 12,4 Prozent gestiegen waren. Von Reuters befragte Ökonomen hatten lediglich mit 11,4 Prozent gerechnet, nachdem die Steigerungsrate im Juli noch 10,4 Prozent betragen hatte. Neben Energie verteuerten sich vor allem Vorprodukte wie Holz und Stahl.
Die Produzentenpreise gelten als Frühindikator für die Entwicklung der Inflation. In der Statistik werden die Preise ab Fabrik geführt – also bevor die Produkte weiterverarbeitet werden oder in den Handel kommen. Sie können damit einen frühen Hinweis auf die Entwicklung der Verbraucherpreise geben. Die Inflationsrate liegt mit 3,9 Prozent aktuell bereits so hoch wie seit 1993 nicht mehr und könnte sich Ökonomen zufolge in den kommenden Monaten in Richtung fünf Prozent bewegen.
Ursächlich für den enormen Preisanstieg sollen Putin und Nord Stream 2 sein.
Während der deutsche Wahlkampf sich seinem Ende entgegenschleppt, wird bisher kaum etwas diskutiert, dass für Millionen Verbraucher und die Industrie gewaltige Konsequenzen haben, und eine veritable Energiekrise auslösen könnte. „Der Gaspreis in der EU liegt auf einem Allzeithoch, der Strompreis am britischen Spotmarkt ist um 700 Prozent aufgrund der Gasknappheit gestiegen, die durch die Lieferengpässe des russischen Gazprom-Konzerns verursacht wurden“, sagt der Osteuropa-Experte Sergej Sumlenny.
Der russische Präsident Wladimir Putin weigere sich, mehr Gas über die Ukraine zu verkaufen, und bestehe auf der Nord-Stream-Route. „Die Ukraine hat davor gewarnt und Angela Merkel ignorierte dies bewusst“, kritisierte der frühe Leiter des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in der Ukraine. Die große Frage ist, ob Russland ein Spiel spielt, um die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 zu erzwingen, aber es ist nicht der einzige Grund, warum die Preise hochschießen.
Putin lässt die Energiepreis explodieren
Darum spielt der Gasmarkt verrückt?
Gas kostet derzeit im Großhandelseinkauf teilweise über 70 Euro pro Megawattstunde – in Coronazeiten waren es zeitweise nur etwa fünf Euro. In Europa herrscht akute Gasknappheit. Denn: Die großen Gasspeicher sind für die Jahreszeit ungewöhnlich leer. Der nach dem Ende vieler Corona-Maßnahmen wieder anziehende Bedarf kann nicht günstig gedeckt werden. „Der hohe Preis liegt vor allem am überraschend stark gestiegenen globalen Bedarf“, sagt Hanns Koenig vom Analyseunternehmen Aurora Energy Research.
Die Preise für flüssiges Erdgas, das per Schiff geliefert wird, seien weltweit stark angezogen, weil die asiatische Nachfrage stark angezogen habe. Die andere wichtige Quelle bei Gasknappheit in Europa ist zusätzliches russisches Gas – „und das kommt nicht in den Mengen, die die Märkte erwartet haben“, sagt Tom Marzec-Manser Gasanalyseleiter des Beratungsunternehmen ICIS in London. „Die Pipelinekapazität ist kein Problem.
Über Weißrussland und Polen sind über die Ukraine noch reichlich Kapazitäten vorhanden.“ Hinzu kommen Belastungen durch den CO2-Preis: Für europäische Emissionszertifikate sind über 60 Euro zu zahlen. Politisch wird der CO2-Preis durch Klimaschutzvorgaben der Europäischen Kommission getrieben, die das Angebot verknappen will, um die Emissionen in der EU schneller zu senken. Das lenkt in der Tendenz die Nachfrage von der Kohle zum Gas, dessen Verbrennung weniger CO2-Emissionen zur Folge hat.
Warum liefert Russland nicht mehr Gas?
Putin lässt die Energiepreis explodieren
Es gebe im Wesentlichen zwei Interpretationen, sagt Marzec-Manser von ICIS. Die erste sei, dass der staatliche russische Gaskonzern Gazprom interne Probleme hat, genügend Gas zu produzieren. „Erstens hat Russland selbst einen langen Winter hinter sich und die Gasvorräte sind ungewöhnlich niedrig“, sagt Marzec–Manser. Zweitens gebe es einige technische Schwierigkeiten, vor allem den Ausfall einer großen Kompressorstation. „Drittens importieren sowohl die Türkei als auch China mehr Gas aus Russland, da die Nachfrage dort sehr hoch ist.“
Es gebe jedoch noch eine zweite Interpretation der Situation: „Dass Russland und Gazprom die Exporte nach Europa strategisch und absichtlich einschränken, in dem Sinne, dass sie die zusätzliche Nachfrage nicht decken“, sagt Marzec-Manser. „Vielleicht um die Entscheidungsfindung der deutschen und europäischen Behörden bezüglich der Zertifizierung von Nord Stream 2 zu beeinflussen und zu beschleunigen.“ Die umstrittenen Ostseepipeline ist fertig gebaut, aber darf aufgrund der fehlenden Zertifizierungen noch nicht in Betrieb gehen. „Die Behauptung des Kremls, dass Nord Stream 2 die Situation entschärfen könnte, deutet in diese Richtung.“ Die Pipelinekapazität stelle keinen Engpass dar.
„Mindestens die Hälfte des gestiegenen Gaspreises geht auf das Konto von Gazprom und Wladimir Putin“, sagt dazu Oliver Krischer, grüner Fraktionsvize im Bundestag mit einer politischen Wertung. „Das ist auch das taktische Begleitspiel, um die Genehmigung der Nord Stream 2 Pipeline durchzudrücken.“ Ein Sprecher von Nord Stream 2, wo Gazprom Anteilseigner ist, will sich zu solchen Vorwürfen nicht äußern. Grundsätzlich verbessere aber jede zusätzliche Liefer-Infrastruktur die Liquidität des Marktes „und kann als zusätzliches Angebot den Preis dämpfen“.
Ähnlich sah das Sergiy Makogon, Chef des staatlichen ukrainischen Transportnetzbetreibers GTSO. Er vermutet hinter der Knappheit auch Gazproms Unwillen, den Engpass durch zusätzliche Lieferungen über die traditionelle Route durch die Ukraine zu beheben. Gegenüber der „Financial Times“ sprach er von Erpressung. Russland versuche, Europa zur Genehmigung der fast fertiggestellten Pipeline Nord Stream 2 zu bewegen. Nach dem geltenden Transitvertrag schickt Russland dieses Jahr mindestens 40 Milliarden Kubikmeter durch die Ukraine. 2020 waren es noch 65 Milliarden, 2019 knapp 90 Milliarden.
Marzec-Manser sieht gravierende Auswirkungen für das Verhältnis zwischen Gaslieferant Russland und der EU. „Wenn die Verlangsamung der Lieferungen nach Europa ein strategisches Ziel war, so ist diese Strategie nun eindeutig außer Kontrolle geraten.“ Gaspreise von 60 bis 70 Euro pro Megawattstunde erdrückten die Nachfrage, verunsicherten die europäischen Gaskunden und seien selbst kurz- bis mittelfristig schädlich, sagt der Experte. Was auch immer die Gründe und Motivationen für die Gasverknappung seien: „Der in Europa weit verbreitete Glaube, dass Gazprom die EU-Märkte immer ausreichend mit Gas versorgen kann und wird, ist nicht mehr zutreffend“, sagt Marzec-Manser. Dies könne einen langen Schatten auf die Energiepartnerschaft zwischen Russland und der EU werfen.
Der Chef des staatlichen ukrainischen Energieunternehmens Naftogaz appellierte bei seinem Besuch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Washington an die USA, die russische Gaspipeline Nord Stream 2 doch noch zu verhindern. “Auch wenn sie, ich weiß nicht, zu 99 Prozent fertig ist, glauben wir immer noch, dass sie gestoppt werden kann und sollte”, sagte Jurij Witrenko der Nachrichtenagentur Reuters. US-Präsident Joe Biden müsse die Sanktionsaufhebung für das Projekt zurücknehmen. Die steht krass im Gegensatz zu dem Ex-Kanzlöer Schröder, Putins besten Freund und Vorzeigemanager von Gazprom.

Die Ukraine hat die Vereinigten Staaten und Deutschland um Garantien gebeten, dass die Ukraine im Falle einer Realisierung von Nord Stream 2 ihren Status als Gastransitland über 2024 hinaus behält, wenn das bestehende Transitabkommen zwischen der Regierung in Kiew und Russland ausläuft. “Wir betonen immer wieder, dass es für uns nicht um Geld geht, sondern in erster Linie um die nationale Sicherheit der Ukraine”, sagte Witrenko weiter.
Die deutsche und die US-Regierung hatten im Juli ein Abkommen veröffentlicht, das den jahrelangen Streit über die Ostsee-Pipeline beilegt, die mehr russisches Gas nach Westeuropa bringen soll. Nord Stream 2 ist langem umstritten und gilt als ein grosser Schritt Deutschland in Richtung einer Abhängigkeit von Russland in Sachen Energielieferungen.